Der Orden der Dominikanerinnen von Bethanien mit Sitz in Venlo erhielt im Jahr 1947 vom Bischof von Roermond den Auftrag, sich um die durch Krieg und Armut gefährdeten Kinder in den Niederlanden zu kümmern. Mitte der 1950er weitete der Orden sein Engagement auf die benachbarte Bundesrepublik aus und gründete drei Kinderdörfer in Waldniel, Erbach und Bensberg. Im Gegensatz zur bisherigen Heimunterbringung sollte dort die Idee umgesetzt werden, den Kindern in familienähnlichen Gruppen eine geschützte dörfliche Umgebung unter der Schirmherrschaft des katholischen Glaubens als neue Heimat zu bieten.
In Zusammenarbeit mit dem Kölner Generalvikariat schrieb der Orden 1962 einen Architektenwettbewerb aus, den Gottfried Böhm gegen fünf geladene Konkurrenten unter besonderer Erwähnung eines gelungenen „menschlichen Maßstabs“ in seinem Entwurf gewann. Das Waldgrundstück, auf dem das Dorf ab 1965 errichtet wurde, besaß bereits eine lange Geschichte auf dem Gebiet der Sprengstoffproduktion seit dem 19. Jahrhundert, war in den 1950er Jahren kurzzeitig als Standort für eine Kernforschungsanlage im Gespräch und wurde letztlich durch in der Umgebung stationierte belgische Soldaten von Altlasten und Vorgängerbauten befreit. Der Bau des Dorfes konnte im Januar 1968 abgeschlossen werden.
Das Kinder- und Jugenddorf Bethanien befindet sich südlich des Stadtteils Lustheide, ist vollumfänglich von Wald umgeben und bildet einen unabhängigen Siedlungskörper. Durch dichten Bewuchs getrennt, ist das Dorf von den umliegenden Straßen nur schwer zu erblicken. Die dorfeigene Zufahrtsstraße führt zunächst auf den vorgelagerten Parkplatz, ehe mit einer Brücke über den kreuzenden Flehbach die Schwelle zur Siedlung überschritten wird. Die ersten beiden Häuser des Dorfes markieren sanft die Eingangssituation als niedrige flankierende Baukörper. Der nun zur Dorfstraße werdende Zufahrtsweg lenkt den Blick zunächst axial zum Zentrum der Anlage, der felsartig aus der ansonsten höchstens zweigeschossigen Bebauung herausragenden Kirche, um die herum sich das Kloster der Dominikanerinnen sowie Gemeinschafts-, Verwaltungs- und Versorgungsbauten gruppieren, schwenkt jedoch anschließend an ihr vorbei und beschreibt einen Bogen um diesen zentralen Bereich, der seit 2002 als Schwester-Consolata-Platz benannt ist. Zwischen der Dorfstraße und der Rückseite des Zentralbaus, der die Kirche halbkreisförmig umfasst, öffnet sich der „Dorfanger“, der in Anlehnung an historische Dorftypen als öffentliche Freifläche für die Bewohnerschaft dient.
Diese Wiese sowie die Dorfstraße werden von einem Bachlauf von den zehn Wohnhäusern und dem Kindergarten des Dorfs getrennt. Die Häuserfassaden, die ringförmig angeordnet der Wegeführung folgen, sind in eine geschosshohe Mauer integriert und lassen so ein langes Band entstehen, das eine scharfe Grenze zum privaten Bereich der Kinder und Familien bildet. Gleichzeitig öffnet sich die Mauer durch Fenster und Türöffnungen der Häuser und sorgt für eine begrenzte Transparenz zwischen den beiden Bereichen. Durch Versprünge in den Fassaden und Gebäudehöhen wird Monotonie vermieden und stattdessen eine rhythmisch gegliederte Ansicht geschaffen. Die Kirche als Mittelpunkt der Siedlung steht ganz im Zeichen des kristallinen Betonexpressionismus, den Gottfried Böhm in den 1960er Jahren entwickelte. Sie erinnert an eine schroffe Gesteinsformation, die sich aus dem Boden erhebt, gleichzeitig aber auch Erdverbundenheit vermittelt. Die mehrfach und unregelmäßig gefalteten Wände sorgen für ein komplexes und erhabenes Erscheinungsbild, das die Kirche als gestalterischen Höhepunkt der Anlage markiert.
Aufmerksamkeit erregt vor allem das vielfältig bewegte Faltwerk des Dachs, in dem zwei Erhebungen deutlich hervortreten. Die höhere drückt sich als breite Pyramide aus der Basis heraus und verleiht dem Felsen trotz der gedrungenen Gesamtform eine gen Himmel strebende Dynamik. Die kleinere Erhebung dient als Glockenaufhängung und ist zu den Wohnhäusern ausgerichtet. Die feine Abstufung von öffentlichen zu halböffentlichen und schließlich privaten Bereichen im Dorf wird auch durch die Wahl der Materialien verdeutlicht. Während die Wohnbereiche eine warme Mauerwerksfassade aufweisen, besitzt der Zentralbau eine zweiteilige Ansicht aus Mauerwerk im Erdgeschoss und Sichtbeton im Obergeschoss. Das Kirchengebäude hingegen zeigte sich ursprünglich ausschließlich in Sichtbeton, bevor das Dach aus Wetterschutzgründen eine Verkleidung aus Blech erhielt.
Während die Innenräume der Wohngebäude in den zurückliegenden Jahren besonders an die Bedürfnisse der Nutzer angepasst worden sind, zeigen sich die Gemeinschaftseinrichtungen jedoch maßgeblich in ihrer ursprünglichen Erscheinung. Zuvorderst ist hier das Innere der Kirche zu nennen, deren Grundriss auf einem annähernd symmetrischen, gleichschenklig konvexen Polygon basiert. Mehrere Aufweitungen verleihen dem Innenraum dabei eine individuelle Form: zwei Emporen, auf denen zum einen die Orgel platziert ist und zum anderen ein separater Zugang aus dem Kloster, der als Windfang ausgebildete Eingangsbereich sowie der Beichtstuhl unter der Glockenaufhängung. Jede dieser Ergänzungen zur Grundform besitzt eine eigene Dachform, die sich an die zentrale Pyramide anlehnt und sich mit ihr verschneidet. So entsteht eine unregelmäßig gefaltete Deckenuntersicht, die an das Innere einer Höhle erinnert.
Durch die nur spärliche Ausleuchtung des Zeltdachs entfaltet ein Blick in die Höhe eine besondere Wirkung, die den kontemplativen und mystischen Charakter des Raums maßgeblich unterstützt. Fokuspunkt ist der Altar, der sich genau unter der höchsten Spitze des Dachs befindet. Die eher kleinen rechteckigen Wandfenster, die von Gottfried Böhm selbst gestaltete gegenständliche Motive tragen, sowie eine kleine Öffnung in der Spitze des Dachs sorgen in dem gedämpften Eingang für Tageslicht. Dominierend in der Gestaltung der Fenster sind die Farben Rot und Grün, die mit der Farbgebung der Wohnhäuser korrespondieren und eine warme Freundlichkeit in die Ehrfurcht erzeugende Kälte des Betonraums bringen. Erwähnenswert ist des Weiteren auch der Innenhof des Klostergebäudes, der den Kreuzgang historischer Vorbilder in die Moderne der 1960er Jahre transportiert und dabei mit einer großen Vielfalt an Formen aus Sichtbeton und Glas spielt.
In besonderer Weise verdeutlicht Gottfried Böhms Kinderdorf die künstlerische Tiefe seines architektonischen Werks. Die Vielfalt an Gebäudetypen und das ausdifferenzierte Verhältnis ihrer Volumina, Funktionen und Materialien werden dem Anspruch gerecht, ein vollwertiges und zeitgemäßes Dorf zu erschaffen. Eine entscheidende Rolle spielt dabei allerdings auch der Rückgriff auf christliche und siedlungshistorische Traditionen, die die Anlage in einen stimmigen Kontext verankern. So machen Lage und Hervorhebung der Kirche unmissverständlich deutlich, dass der Glaube das Dorf und seine Kinder zusammenhalten soll. Beeindruckend ist neben dem Reichtum an architektonischer Gestaltung vor allem die dahinterstehende Symbolik. Unter anderem verwendete Böhm für die Kirchenfenster eigene Motive, die zunächst als niederschwellige Darstellungen der Schöpfung für Kinderaugen erscheinen, darüber hinaus allerdings als Leitbild für das Kinderdorf Bezug auf den „Lobgesang der Jünglinge im Feuerofen“ aus dem Alten Testament nehmen, in dem sich drei junge Männer nur durch ihren festen Glauben vor dem sicheren Tod retteten. Unter dem Leitgedanken einer christlichen Sozialordnung gelang Gottfried Böhm somit die Schaffung eines modernen Dorfes mit authentisch traditionellem Fundament, das sich stark vom allgemeinen Zeitgeist der 1960er und -70er Jahre abgrenzte.