Das etwa 15 km nördlich bzw. rheinab der Kölner City auf der Hochuferkante des Stroms gelegene Rheinkassel gehört zu den wohl seit der Antike besiedelten Ortschaften des Rheinlandes; der Name leitet sich von einem römischen Gutshof oder Kastell her. Grundherr war seit dem Frühmittelalter das Kölner Stift St. Gereon, das die im Kern mindestens auf das zehnte Jahrhundert zurückgehende Pfarrkirche St. Amandus schrittweise durch einen mächtigen (heute gekürzten) Westturm und eine verkleinerte Chorturmfassade nach Kölner Vorbild zu einer der aufwendigsten Kölner Dorfkirchen ausbaute, die gegenüber von (Leverkusen-)Rheindorf und der Wuppermündung eine wichtige Landmarke am Niederrhein darstellt.
1922 wurde Rheinkassel nach Köln eingemeindet und gehört seit 1975 zum Stadtteil Merkenich. Westlich entstand in den 1950er Jahren durch Kiesabbaggerung der Fühlinger See parallel zur Neusser Straße. Während westlich des Sees ab den 1950er Jahren die „Neue Stadt“ Chorweiler geplant und realisiert wurde, sollten nach einem 1969 veröffentlichen Plan die Ortschaften zwischen See und Rhein zugunsten einer Norderweiterung des Niehler Industriegebiets aufgegeben werden. Dies führte zu heftigen Protesten der ansässigen Bevölkerung, die unter anderem in der aufwendigen Sanierung und Neugestaltung der Kirche St. Amandus und ihrer Umgebung resultierten. Zunächst wurde die Kirche restauriert und mit einer der ersten rekonstruierten Farbfassungen romanischer Architektur versehen; der Innenraum wurde von Gottfried Böhm modernisiert, die Sakristei erweitert.
Südlich der Kirche, auf einer Freifläche bis zum Friedhof, wurden bereits Anfang der 1970er Jahre ein neues Gemeindezentrum sowie eine Wohnsiedlung geplant. Das Gemeindezentrum wurde 1974-1976 errichtet, das kriegsbeschädigte Pfarrhaus architektonisch angepasst. 1980-1982 wurde dann auf einem Erbpachtgelände der Kirche in Trägerschaft der DEWOG die aus 52 überwiegend öffentlich geförderten Reihenhäusern bestehende Siedlung errichtet,.
Die nordöstlich zwischen Alten Römerstraße und St. Amandus gelegene Siedlung wird nach im Nordwesten und Südosten von den bestehenden, parallel verlaufenden Straßen Kasselberger Weg und Feldkasseler Weg begrenzt; letzterer berührt den Vorplatz der Kirche mit Gemeindezentrum und der Nordecke der Siedlung, bevor er sich als Amandusstraße nach Norden als Hauptachse des Dorfes mit ihren großen Hofanlagen und Landarbeiterhäusern fortsetzt.
Ein früher Entwurf sah traufständige Kettenhäuser mit kleineren Zwischenbauten vor; auf gleichem Gesamtgrundriss wurden dann jedoch Reihenhäuser überwiegend 6er- und 7er-Folge angeordnet. Um einen zentralen Block mit zwei parallelen, nach außen orientierten Hauszeilen sind einzelne Blöcke mit weiteren Zeilen in verschiedener, rechtwinkeliger Anordnung platziert. Das Innere ist autofrei durch Fußwege erschlossen. Einzige Aufweitung mit einer alleeartigen Bepflanzung bildet eine durchlaufende Achse in Fortsetzung des von Nordwesten kommenden Rheinkasseler Weges. Bis auf den Block am Feldkasseler Weg sind die Gärten nach aussen gelegt und durch einen Schuppen/Garage geschlossen. An der Ost- und Südseite befindet sich jeweils auch ein Parkplatz, im Südwesten zum Friedhof hin auch ein Spielplatz.
Die Häuser folgen einem Grundschema: Es handelt sich um traufständige Einfamilienhäuser auf hohem Sockel mit zwei Vollgeschossen und einem flachen Satteldach ohne Überstand. Der in der Mitte des Erdgeschosses angeordnete Eingang ist über eine seitlich angeschobene Freitreppe erreichbar. Die Fenster an der Eingangsseite bestehen aus einem großen und einem quasi als Lüftungsflügel oben seitlich angesetzten kleinen Quadrat. Tür und Fenster sind mit grün gestrichenen Faschen gerahmt; auch der Sockel ist grün gestrichen, der Rest der Fassade weiß verputzt. Den flachen Giebel ziert ein angedeutetes Oculus-Fenster. Die Rückseite weist größere Fenster auf; vom Erdgeschoss aus erreicht man über eine seitliche Treppe eine kleine Terrasse; auch der Sockel ist hinten durchfenstert und häufig mit einer Tür versehen.
Das Haus nimmt im Erdgeschoss Küche und Wohnräume, im Obergeschoss Schlaf- und Kinderzimmer mit Bad auf. Auf den Eingang folgt eine geräumige Diele, an die sich links die Küche anschließt; rechts ist eine Toilette abgetrennt, bevor sich der Raum zum innen rechts angeordneten Treppenhaus öffnet. Die Treppe verbindet Keller, Erd- und Obergeschoss und ist in U-Form in ein Rechteck eingestellt. An Diele und Küche schließen sich Esszimmer und Wohnzimmer an; letzteres nimmt die gesamte Rückseite ein.
Im Obergeschoss ist über Eingang und WC das Bad angeordnet, daneben über der Küche das Elternschlafzimmer. Ein Korridor auf Höhe des Treppenhauses trennt diese von den nach hinten liegenden Kinderzimmern. Der hintere Bereich des Kellers ist als Arbeits- oder Hobbyraum natürlich belichtet und besitzt einen eigenen Eingang.
Die betont schlichte Siedlung nimmt mit ihrer verdichteten Bauweise und den Fußwegen die Vorteile urbanen Bauens auf und überträgt sie in ein ländliches Umfeld. Dafür stehen die vergleichsweise großen Gärten, die schlichte Bauweise und die sorgsam geplanten öffentlichen Freiräume. Im Zusammenspiel mit Gemeindezentrum, Pfarrhaus und Kirche wird mit einfachen Mitteln eine Einheitlichkeit und Maßstäblichkeit hergestellt, die vom Material über die Volumen bis zur Anordnung reicht. Stärker als in konventionellen Einzelhaussiedlungen wird die Einheitlichkeit und der soziale Kontakt betont, ja durch die Verbannung von Autos geradezu erzwungen. Auch wenn das kirchliche Gemeindezentrum nicht ausdrücklicher Teil der Siedlung ist, so bietet sich hier ein natürlicher Treffpunkt, eine Anregung zur Gemeinschaft und zum Engagement. Dies symbolisiert der Torbogen mit Madonna zwischen Zentrum und Siedlung.
Als Teil eines Gesamtkonzeptes zur Stabilisierung und Sicherung lokaler Identität erfüllt die Wohnanlage einen klaren Zweck; gleichzeitig bietet sie ein Muster für das Leben „normaler“ Familien in ländlicher Umgebung. Die Siedlung ist im Rahmen der Hinwendung Böhms zu städtebaulichen Themen ab den späten 1960er Jahren zu sehen. Stand in Zündorf die Einbindung eines sehr heterogenen, lückenhaften Baubestandes und damit die „Stadtreparatur“ und in Seeberg das humane Bauen in einer Großsiedlung im Vordergrund, so steht Rheinkassel für eine zeitgemäße und zugleich gemeinschaftsfördernde Alltagsarchitektur für den „kleinen Geldbeutel“, insbesondere an der zunehmend von Zersiedelung und Formlosigkeit betroffenen Peripherie der Metropolen.
Die für Böhmsche Entwürfe einmalige Schlichtheit und Zurücknahme scheint bis heute weitgehend akzeptiert und angenommen und sollte in Zukunft unbedingt auch erhalten und gepflegt werden. (AK)