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Im Zuge der Industrialisierung und des Kohlebergbaus wuchs die Bevölkerung in Essen-Katernberg, in unmittelbarer Nähe zum heutigen Weltkulturerbe Zeche Zollverein, Anfang des 20. Jahrhunderts stark an und mit ihr der Wunsch nach einer neuen katholischen Kirche. Im Jahr 1929 gelangte eine ehemalige Ölfabrik im südlichen Bereich des Stadtteils in den Besitz der Kirchengemeinde St. Josef, die bis 1934 zur ersten Heilig-Geist-Kirche inklusive einer neuen repräsentativen Turmfront umgebaut wurde.
Ein Bombenangriff auf die nahe Eisenbahnstrecke im Jahr 1943 und aufgetretene Bergschäden im Zusammenhang mit dem Betrieb der Zeche beeinträchtigten die Konstruktion der Kirche jedoch derart stark, dass das Gebäude nach nur zwei Jahrzehnten wieder aufgegeben werden musste. Trotz alledem erhielt die Gemeinde Heilig-Geist 1951 den Status einer eigenständigen Pfarrei. Für einen Neubau an anderer Stelle bemühte sich diese zunächst um Dominikus Böhm, der noch Anfang 1955 erste Entwurfsgedanken skizzierte. Nach dessen Tod übernahm Gottfried Böhm den Auftrag spätestens ab Juni 1955 und führte das Projekt von der Grundsteinlegung Anfang 1956 bis zur Fertigstellung im Herbst 1957.
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Die Pfarrkirche Heilig-Geist liegt nur wenige hundert Meter vom Schacht 1/2/8 der Zeche Zollverein entfernt auf einem exponierten Grundstück an einer Hauptverkehrsstraße des Stadtteils, deren geschwungene Trasse erst in den 1960er Jahren angelegt, aber schon in den Entwurfsplanungen berücksichtigt worden ist. Als freistehendes Gebäude ohne festen Bezug zur Nachbarbebauung stellt sich die Kirche dem vorbeifließenden Verkehr als breiter Riegel entgegen, der insbesondere durch seine südliche Ansicht eine städtebauliche Dominante bildet. Der Zugang zur Kirche befindet sich im Osten und ist mit einem bescheidenen Vorplatz auf die angrenzende Wohnbebauung ausgerichtet. Das Kirchengebäude selbst besteht aus einem langgestreckten Hauptraum, der sowohl im Süden als auch im Norden durch zwei außermittig angelagerte Seitenschiffe ergänzt wird. Im Norden schließt daran die Sakristei mit einem niedrigen Glockenturm an, sodass eine Staffelung unterschiedlicher Baukörper die Ansicht der Kirche bestimmt. Gottfried Böhm verwendete für die äußere Erscheinung der Kirche eine Vielfalt an Materialien.
Während die Stirnseiten des Haupthauses eine massive Bruchsteinfassade besitzen und die niedrigen, flach gedeckten Seitenschiffe samt Sakristei eine rote Mauerwerksfassade aufweisen, zeigt sich das hoch aufragende Haupthaus mit einer weitgehend gläsernen Transparenz. Prägendstes Element der Konstruktion sind zwei spitze Sichtbetonstützen, die als mittiges Auflager für die zeltartig hängende Deckenmembran dienen. Mit Ausnahme zweier horizontal zu den Stirnseiten verlaufenden Versteifungsträger aus Beton zeigt sich die Längsfassade des Haupthauses mit einer vollflächig gerasterten Verglasung aus kleineren, quadratischen Scheiben. Der Verglasung vorgelagert sind in einem Raster von zwei Metern schwarze Stahlstützen installiert, die die hängende Dachkonstruktion unterstützen. Diese Offenheit unterstreicht den zeltartig schwebenden Charakter der Decken und lässt die innere Beleuchtung der Kirche bei Dunkelheit eindrucksvoll in den Stadtraum scheinen. Nördlich des Kirchengebäudes sind mit gebührendem Abstand vier zweistöckige Quader in einer Reihe angeordnet, die die Fassadengestaltung der Seitenschiffe aufnehmen und ursprünglich als Pfarrhaus, Kindergarten und Jugendheim sowie Küsterhaus dienten. Auch wenn diese teilweise nicht mehr von der Gemeinde genutzt werden, gelang es auf diese Weise, das Kirchengebäude gegenüber der nördlichen Bahntrasse abzuschirmen, ohne auf eine offene Bauweise zu verzichten.
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Im Kontrast zur steinernen Schwere des Hauptportals entfaltet sich in der nachfolgenden Eingangshalle bereits die helle Wirkung der verglasten Längsansichten. Während sich im Norden und im Süden kunstvoll gestaltete Glastüren hin zum Außenbereich befinden, steht in der Mitte dieses Vorraums der massive runde Taufstein, dessen Becken mit einem Deckel aus Bronze und farbigen Emaille-Einlässen von Karl-Heinz Hölscher verschlossen ist. Durch eine gläserne Zwischentür fällt der Blick sogleich in den Hauptraum hinein, der das Bild des Zelts eindrucksvoll den Betrachtenden vor Augen führt. Zu sehen sind die nach oben spitz zulaufenden Stahlbetonstützen, die sich im unteren Bereich mit einem Rundbogen zu den Seitenschiffen öffnen und im oberen Bereich wie eine Schaukel durch einen Querträger verbunden sind. Ohne jede Schwere legt sich darüber die optisch herunterfallende Deckenfläche wie ein Tuch. Aufgrund der enormen Glasflächen fällt das Tageslicht großzügig in den Hauptraum, wohingegen die niedrigen Seitenschiffe nur durch kleine Quadratfenster mit bunten Kreuzwegbildern des Künstlers Helmut Lang belichtet werden. Seit 1987 tragen die großen Fensterflächen abstrakte Motive von Joachim Klos, die sich unter anderem mit dem Wesen des Heiligen Geistes auseinandersetzen.
Durch einen Mittelgang zwischen den Kirchenbänken führt der Weg zum Altarbereich, der sich mittig unter dem höchsten Punkt des Dachs befindet. Mit zwei Stufen erhebt er sich vom umgebenden Raumniveau und beherbergt in seiner Mitte den weißen Marmoraltar nach dem Entwurf Gottfried Böhms. Ist mit einigem Abstand nur die Orgel an der rückwärtigen Stirnseite des Hauptraums hinter dem Altar zu sehen, verspringt unmittelbar hinter der Altarinsel der Boden nach unten zur 1,30 m abgesenkten Unterkirche. Ursprünglich war diese als kleinerer Bereich für Gottesdienste an Werktagen gedacht, sie übernimmt jedoch mittlerweile die Funktion einer Begegnungsstätte der Gemeinde als Ersatz für die heute anderweitig genutzten Nebengebäude.
Die Heilig-Geist-Kirche belegt eindrucksvoll, wie Gottfried Böhm das Leitmotiv des Zelts als biblische Metapher für Kirchenbauten mit Hilfe moderner Ausdrucksformen umzusetzen vermochte. Unter dem Eindruck der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs entwickelte sich in der unmittelbaren Nachkriegszeit verstärkt das Bild einer „Kirche auf dem Weg“, was Architekten wie Gottfried Böhm zu Kirchenbauten mit einer Symbolik des Zelts oder Schiffs inspirierte.
Das Werk in Katernberg macht dabei deutlich, wie viel Mut sowohl der Architekt als auch die Gemeinde als Auftraggeberin aufbrachten, dieses durchaus experimentelle Vorhaben umzusetzen. Eingesetzt wurden neueste Methoden der Konstruktion, die aber gleichzeitig auch mit tradierten Motiven wie der Achsensymmetrie, einer Hierarchie der Bauglieder und der Wahl regionaltypischer Werkstoffe wie dem verwendeten Backstein kombiniert wurden. Die verwendeten Materialien knüpfen zudem an die Gestaltung der nahen Zeche Zollverein mit ihrer ortsprägenden Industriearchitektur an und nehmen auf diese Weise den Charakter der Umgebung auf.